Bedarfsgerechter Wohnungsbau im ländlichen Raum
Rückschau auf das Fachkolloquium vom 22. November 2018 in München
Wohnungsbau ist in vielen Gemeinden eine der drängendsten Aufgaben. Zukunftsgerichteter nachhaltiger Wohnungsbau kann sich aber nicht darin erschöpfen, alle erreichbaren Freiflächen zuzubauen. Es ist wichtig, dass beim Wohnungsbau auf Qualität geachtet wird. Auf Qualität im Einzelbauwerk und Qualität bei der ortsplanerischen Einfügung. Auch muss jede Gemeinde ihren speziellen Bedarf ermitteln, beispielsweise für junge Familien, Beschäftigte örtlicher Firmen oder sozial Hilfsbedürftige. Die bloße Übernahme statistischer Wachstumsprognosen führt in die Irre. Wohnungsbau muss schließlich auch nachhaltig sein und die spätere Nutzung von bebauten und unbebauten Flächen durch die nächsten Generationen stets mit bedenken. Dies ist eine interdisziplinäre Aufgabe und interdisziplinär sollte man sich ihr auch im Rahmen einer Fachtagung zum Thema bedarfsgerechter Wohnungsbau nähern. Aus diesem Grund trafen am 22.11.2019 im gelben Saal des Bayerischen Bauindustrieverbandes auch Juristen auf Architekten, Stadtplaner auf Kommunalpolitiker und Bauunternehmer auf die Wissenschaft.
In seiner Begrüßung wies Prof. Holger Magel, Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, darauf hin, dass die Tagung sowie die langjährige partnerschaftliche Zusammenarbeit der drei Veranstalter zum Ausdruck bringen, wie wichtig gute Zusammenarbeit bei Querschnittsthemen ist, die für eine gute Zukunft des ländlichen Raums nur gemeinsam vorangebracht werden können. Ein solches Thema ist zweifelsohne auch die Wohnraumfrage. Darum sei es gut, dass sich heute Experten und Interessierte aus allen Disziplinen und Verantwortungsbereichen zu diesem Gegenwarts- und Zukunftsthema getroffen haben.
Thomas Schmid, Hauptgeschäftsführer griff diesen Ball auf und verwies darauf, dass die Mitglieder des Bauindustrieverbandes nicht nur in München, Augsburg, Nürnberg und Regensburg Wohnraum schaffen, sondern in ganz Bayern. Bauunternehmer sind in unseren Kreistagen und unseren Gemeinderäten aktiv und man habe sowohl als Verband, als auch mit Blick auf jedes einzelne Mitglied einen gesamtgesellschaftlichen Anspruch. Thomas Schmidt stellte überdies heraus, dass gerade öffentliche Bauherrn mit Blick auf die Themen der Baukultur, der Nachhaltigkeit, der Ökologie und der Bedarfsanalyse noch Luft nach oben hätten. Dies gilt es gemeinsam anzugehen.
Dr. Franz Dirnberger, Geschäftsführer des Bayerischen Gemeindetags stellt heraus, dass sowohl der Koalitionsvertrag des Bundes als auch der aktuelle Koalitionsvertrag des Landes Bayern gerade auch die Städte und Gemeinden in den Fokus nehmen, wenn es um die Schaffung ausreichenden und günstigen Wohnraums gehe. Dies kann allerdings nur eine Seite der Medaille sein: Wer von den Kommunen fordert, sich mit Innenentwicklung, sozialgerechter Bodennutzung und beschleunigter Ausweisung von Wohnraum zu beschäftigen, kann nicht gleichzeitig Verfahrensvorgaben verkomplizieren und sich im Koalitionsvertrag des Bundes dafür aussprechen, dass im Rahmen eines nachhaltigeren und sozialgerechteren Bauplanungsrechts Eigentümerrechte Privater nicht angetastet werden dürfen. Dies geht nach einem Blick in Artikel 14 Abs. 2 des Grundgesetzes bereits denklogisch nicht zusammen.
Im ersten Fachvortrag des Tages wies Prof. Manfred Miosga von der Universität Bayreuth darauf hin, dass es nicht zuletzt mit Blick auf den überdurchschnittlich hohen pro-Kopf-Flächenverbrauch im Ländlichen Raum mehr denn je notwendig ist, dass sich planende Städte und Gemeinden konkret und substantiiert mit den tatsächlichen Wohnraumbedarfen auseinandersetzen und diese anhand von Daten, Fakten und Analysen ermitteln und bewerten. Das klassische Einfamilienhaus auf der grünen Wiese ist nach Allem, was die sozialwissenschaftliche Analyse in den vergangenen Jahren zu Tage gefördert hat, deutlich seltener das Wohnmodell, welches die Menschen im Ländlichen Raum brauchen, als gemeinhin angenommen wird. Manfred Miosga wies hierbei eindrucksvoll nach, dass gesellschaftliche Muster, politische Rahmenvorgaben und die Interessen verschiedener Steakholder am Markt das Einfamilienhaus als den Archetyp des Wohnens im Ländlichen Raum zementiert haben obgleich dieser Wohntyp nicht als bedarfsgerecht, zukunftsgerecht, anpassungsfähig, ökologisch und damit nachhaltig angesehen werden kann. Städte und Gemeinden müssen sich demnach viel entschiedener mit den heterogenen Bedarfen der Bevölkerung auseinandersetzen und hierbei die zur Verfügung stehenden Instrumente, wie die eines ISEKs, stärker zum Einsatz bringen.
Dr. Helmut Bröll, Ideengeber und Organisator der Tagung arbeitet in seinem Vortrag zum Thema Innenentwicklung heraus, dass der Gesetzgeber in § 1a Abs. 2 BauGB ganz klar zum Ausdruck bringt, dass Innenentwicklung vor Außenentwicklung zu denken ist. „Innen statt außen“ sollte aber auch ohne diese gesetzliche Vorgabe ein Prinzip sein, dass Kommunalpolitiker bereits aus Gründen der Nachhaltigkeit, des Flächensparens sowie der Ortskernvitalisierung im Blick haben müssen. Mit den §§ 13, 13a BauGB hat der Gesetzgeber den Städten und Gemeinde hierfür auch eine Art planerischen Sondervorteil eingeräumt, wenn sich diese auf den Weg einer häufig komplexen „Innenbereichsplanung“ machen. Allerdings wies Dr. Bröll auch darauf hin, dass Innenentwicklung mit Blick auf die zahlreichen damit verbundenen Rechtsfragen nicht banal ist. „Das Planen auf der grünen Wiese ist freilich einfacher“, so Bröll. Gerade deswegen sei der Gesetzgeber aufgefordert den Städten und Gemeinden die Instrumente an die Hand zu geben, die sie brauche.
Intelligenter Raum für wechselnde Bedarf – Innovationen der Bauindustrie. Unter diesem Titel stand der letzte Vortrag des intensiven Vormittags. Michael Thon, Geschäftsführer eines traditionsreichen Baufamilienunternehmens berichtete hierbei, welches Chancen und Möglichkeiten die Digitalisierung mit Blick auf die Individualisierung und Optimierung von Wohnraum bieten kann. Flächen können optimal genutzt werden, die Wandelbarkeit des Wohnraums kann vorausgedacht werden und Standardisierungen können zur Baukostenreduzierung beitragen. Und hierbei geht es längst nicht mehr um 3D-Modelle: Auch Kriterien wie Behaglichkeit, die Materialwahl und die Vernetzung der Objekte können bereits heute digital erfasst und visualisiert werden, mit dem Ziel, dass am Ende des Prozesses etwas Gutes, mithin „gescheiter“ Wohnraum entsteht.
Michael Thon: "Intelligenter Raum für wechselnden Bedarf – Eine Innovation der Bauindustrie" Vortragsfolien (pdf)
Die Diskussion, die den Vormittag beendete, zeigte, dass Helmut Bröll mit dem gewählten Thema ein Thema unserer Zeit getroffen hat. Grundstücksverfügbarkeit, Qualitäten am Bau, Baukultur, Minderung der Flächeninanspruchnahme, Grundstücksspekulation sowie die Rolle des Gesetzgebers sind nur einige Stichworte, mit denen die Diskussion in die Mittagspause überleitete.
In den Nachmittag startet der Architekt, Stadtheimatpfleger und langjähriger Schriftenleiter des „Bauberaters“ des Landesvereins für Heimatpflege, Bernhard Landbrecht. Er erläuterte anhand von drei unterschiedlich gelagerten Projekten, wie bedarfsgerechter und vorausdenkender Wohnraum im Ländlichen Raum aussehen kann. In Bobingen konnte beispielsweise gezeigt werden, wie Gemeinden Siedlungen der 50er, 60er und 70er Jahre fortentwickeln können, ohne hierbei Einbußen bei der städtebaulichen Qualität hinnehmen zu müssen. „Dem Begriff der Nachverdichtung haftet hierbei immer etwas Streitbares an“, so Landbrecht. Wenn man das Ergebnis sieht, wird dieser Begriff der nachhaltigen Modernisierung untergenutzter Siedlungen ohnehin nicht gerecht. In Tittmoning konnte gezeigt werden, dass sich Gemeinden anstatt mit Einfamilienhausgebieten mit anpassungsfähigen „Mehrgenerationen-Familienhausgebieten“ befassen sollten. Dies schien für die Zuhörer nach dem Vortrag evident. So dürfe heute nahezu jeder von einem Beispiel zu berichten wissen, indem die Elterngeneration nach Auszug der Kinder auf 200 m² Wohnfläche wohnt und das Bauzeichnerhaus der 70er-Jahre kein Potential der einfachen Wandelbarkeit in Zweifamilienhaus vorsieht. Schließlich zeigte Bernhard Landbrecht auch noch, wie eine sensible Innenbereichslage in Seeshaupt baukulturell hochwertig und heterogenen Ansprüchen gerecht werdend entwickelt werden kann. Der Vortrag warf zweifelsohne einen Blick auf den Weg, den es zukünftig im Ländlichen Raum zu beschreiten gilt.
Im zweiten Projektvortrag des Nachmittags erläuterte Dr. Max von Bredow vom Projektentwickler Quest AG aus Kolbermoor, dass sich seine Firma bei der Entscheidung, ob ein Projekt in Angriff genommen wird, Nachhaltigkeitsprinzipien verschrieben hat: „Wenn das Projekt den Menschen vor Ort keinen Vorteil bringt, dann ist es nicht unser Projekt“, so von Bredow. So war es auch in Weyarn, wo von Bredow gemeinsam mit der Gemeinde das sensible Quartier des Klosterangers beplante und bebaute hat. Auch hier lag das vermeintlich Neue darin, dass das Quartier für alle Bedarfe am Ort entwickelt wurde. So wäre viel zu kurz gedacht gewesen, auf dem zentralen Areal Einfamilienhaus an Einfamilienhaus zu reihen. Damit würde die Gemeinde ausblenden, dass alleinstehende Menschen, alte Menschen, junge Menschen, Studenten, finanziell schwach aufgestellte Menschen und Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung die gleichen Wohnbedürfnisse haben, wie die gutverdienende Familie mit zwei Kindern. Auch baukulturell war sich die Quest AG ihrer Verantwortung bewusst. Materialität, Maßstäblichkeit und Formenwahl respektieren Ort, Geschichte und Gegenwart, in die sich das städtebauliche Projekt einfügt. Die Ergebnisse kann man bereits sehen.
Im letzten Fachvortrag des Nachmittags fasste Dr. Gerhard Spieß, Rechtsanwalt aus München, eine juristische Klammer um die vorgestellten Projekte. Hinter jedem Projektschritt, der gerade dargestellt wurde, stehen städtebauliche Verträge, in denen Gemeinde und Grundstückseigentümer darüber einig werden, wie die Ziele der Bauleitplanung gesichert werden sollen. Und eines ist klar: „die besten Steuerungsmöglichkeiten für Baukultur, Heterogenität und Sozialgerechtigkeit hat die Gemeinde, wenn sie selbst Grundstückseigentümer ist“. Denn dann kann sie Rahmen einer Konzeptvergabe konkrete Vorgaben machen, wie das Projekt konfiguriert sein soll. Bei der Überplanung der grünen Wiese des Privaten sind dieser Steuerung durch § 11 Abs. 2 des Baugesetzbuchs und das Verbot der planersetzenden Verträge deutlichere Grenzen gesetzt.
Dr. Gerhard Spieß zu "Gemeindliche Projektsteuerung durch städtebauliche Verträge, vorhabenbezogene Bebauungspläne und zivilrechtliche Verträge"
In der abschließenden Diskussion, die von Prof. Mark Michaeli, dem Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Kuratoriums der Akademie Ländlicher Raum geleitet wurde, kam nochmals zum Ausdruck, dass die Beantwortung der Frage nach bedarfsgerechtem und nachhaltigem Wohnraum im Ländlichen Raum nur interdisziplinär beantwortet werden kann. Mark Michaeli … In seiner abschließenden Zusammenfassung wies Prof. Holger Magel darauf hin, dass Städte und Gemeinden für eine zielführende Entwicklung – auch auf dem Felde der Wohnraumschaffung – ein Leitbild benötigen. Ohne, dass eine örtliche Gemeinschaft weiß, wohin ihre Reise gehen soll und was die Menschen in ihrem Ort bewegt, kann keine schlüssige Zukunftskonzeption gelingen. Überdies stellte er heraus, dass es ihm nun noch deutlicher wurde, dass der Ländliche Raum in nicht unerheblichem Ausmaß am Bedarf vorbeiplant. Diese Bedarfe gilt es allerdings auch landesweit zu ermitteln. Schließlich wies er jedoch auch noch darauf hin, dass der höhere pro-Kopf-Flächenbedarf auf dem Land freilich auch den historischen Bauformen, den gewachsenen Strukturen und der dörflichen Baukultur geschuldet ist, die es freilich auch zu schützen aber auch fortzuentwickeln gilt. Die Tagung war zweifelsohne ein wertvoller Baustein für die weitere Debatte.