Projekt Mieterqualifizierung

Projekt Mieterqualifizierung

Interview mit einer Integrationslotsin

Der Bayerische Bauindustrieverband unterstützt das Projekt Mieterqualifizierung, welches Migranten auf den ersten Metern begleitet und sie bei der Wohnungssuche unterstützt.

Es ist wichtig, dass Migranten am Anfang in allen möglichen Alltagsituationen Unterstützung erfahren. So wird sichergestellt, dass sich die Migranten in ihrem neuen Zuhause wohl fühlen und sie erfolgreich integriert werden.

Ehrenamtlichen kommt hierbei auf verschiedensten Wegen eine bedeutsame Rolle zu. So zum Beispiel auch bei der Wohnungssuche. Denn wer in Deutschland eine Wohnung sucht, muss die Hausordnung verstehen, Mietverträge lesen und Bewerbungen schreiben können und nicht zuletzt viele Abkürzungen kennen: MFH - Mehrfamilienhaus, KM - Kaltmiete, 2-ZKB - 2 Zimmer-Küche-Bad.

Für Migranten, die neu in Deutschland sind und die Sprache nicht verstehen, gestaltet sich der Prozess der Wohnungssuche daher oft sehr mühsam und ist ohne fremde Unterstützung kaum zu bewältigen. Viele Migranten sind mit den anfänglichen Herausforderungen allein und auf Hilfestellung angewiesen. Neben Ehrenamtlichen kommt besonders Integrationslotsen hier eine zentrale Rolle zu; denn sie leisten Hilfestellung, koordinieren den Integrationsprozess und bringen ehrenamtliche Helfer und Migranten zusammen

Die Mieterqualifizierung ist eine von den Integrationslotsen organisierte Schulung, die Migranten bei der Wohnungssuche unterstützt und den Weg zur Selbsthilfe ebnet.

Der Bayerische Bauindustrieverband fördert das Projekt Mieterqualifizierung, um Migranten beim Integrationsprozess zu unterstützen, ihnen den Einstieg in den Wohnungsmarkt zu erleichtern und ihnen bei der Wohnungssuche zu helfen. Auf diesem Wege möchte der Bayerische Bauindustrieverband einen Beitrag zum harmonischen Miteinander und der erfolgreichen Integration anerkannter Flüchtlinge leisten.

Astrid Kaeswurm ist Integrationslotsin und koordiniert die Unterstützer, die anerkannte Flüchtlinge, nach der Unterbringung in den dezentralen Unterkünften des Landratsamts im Landkreis Berchtesgadener Land, mit dieser Schulung fit für die eigene Wohnung machen.

Sie sind als Integrationslotsin tätig. Können Sie schildern, was ein/e Integrationslotse/in tut?

Als Integrationslotsin bin ich so etwas wie der „Knotenpunkt“ für eine gute Verbindung von Hauptamtlichen, Ehrenamtlichen und Migranten in der Migrationsarbeit.

Zudem bin ich Ansprechpartnerin für alle Problematiken zu dem Thema, oft auch als Kummerkasten. Manchmal muss ich auch einen Bedarf feststellen, ohne das mir jemand direkt einen Hinweis gibt, einfach durch Beobachten, und indem ich mich selbst immer weiter informiere.

Wie viele Integrationslotsen gibt es aktuell in Deutschland?

Derzeit gibt es 86 Integrationslotsen in Bayern und damit eine fast flächendeckende Versorgung. Meiner Information nach gibt es Integrationslotsen in dieser Art bislang nur in Bayern. Die Bayerische Staatsregierung hat 2017 erstmals versuchsweise Integrationslotsen als Pilotprojekt in Bayern etabliert.

Seit 2019 werden die Integrationslotsen durch das Bayerische Innenministerium betreut. Eine möglichst flächendeckende Betreuung durch Lotsen in den Landkreisen ist für Staatsminister Joachim Herrmann sehr wichtig.

Empfehlen würde ich dieses Projekt natürlich auch als Maßnahme im gesamten Bundesgebiet. (für Deutschland insgesamt).

Integrationslotsen sind auch für die Koordination von ehrenamtlichen Helfern und Migranten zuständig. Wie bringen Sie diese beiden Gruppen zusammen?

Das ist nicht mit einem Satz zu beantworten, da es vieler Wege und vieler Aktionen bedarf. Meistens ist es so, dass jemand aus einer aus dieser Gruppen auf mich zukommt und eine Problematik schildert. Dann besprechen wir uns und ich versuche mittels Recherche einen Lösungsansatz zu finden und diesen zu kommunizieren.

Wege dazu ermöglichen die Hilfsbereitschaft und der Praxisaustausch mit den Ehrenamtlichen, eine fachliche Kompetenz der Hauptamtlichen sowie die Bereitschaft zu einem Informationsaustausch mit den Migranten. Je nach Problematik biete ich dann z.B. eine Fortbildung, ein Netzwerktreffen oder einfach ein Gespräch an.

Ist es schwierig viele Ehrenamtliche im Bereich Wohnen zu finden?

Leicht ist es nicht. Auch Ehrenamtliche empfinden zunehmend eine Frustration, wenn sie mit Migranten versuchen, eine Wohnung zu finden - und das Ganze aber leider nicht von Erfolg gekrönt ist.

Ich denke, dass das Thema auf verschiedenen Wegen angegangen werden muss. Zum einen über die „großen“ Vermieter. Sie müssen dafür sensibilisiert werden, dass eine Mieterqualifizierung eine sehr sinnvolle Sache ist. Mieter, die diese besucht haben, sind i.d.R. gut vorbereitet auf das, was im Mietverhältnis auf sie zukommt. Sie halten sich an die Hausordnung und trennen ihren Müll. Das spricht sich dann auch bei den „kleinen“ Vermietern in der Umgebung herum und erzeugt ein positiveres Bild.

Wichtig ist außerdem, dass alle Beteiligten wie Ehrenamtliche, den Migranten helfen, selbst tätig zu werden und sie unterstützen, erfolgreicher in der Wohnungssuche zu werden. Denn Selbstständigkeit in möglichst allen Lebenslagen gehört bei uns zu einer gelungenen Integration. Solange ich in alltäglichen Situationen wie der Wohnungssuche Hilfe benötige, ist die Integration nach unseren Vorstellungen noch nicht abgeschlossen. Der Leitsatz ist:“ Ehrenamtliche helfen Migranten auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit“!

Die Mieterqualifizierung ist ein zentrales Instrument in diesem Zusammenhang. Was genau ist die Mieterqualifizierung und wie läuft diese ab?

Die Mieterqualifizierung vermittelt Migranten und auch anderen Personengruppen, z.B. Langzeit-Obdachlosen oder Mietern, denen vom Vermieter die Kündigung ihrer Wohnung droht, die „Basics“, um ein guter Mieter zu werden.

Wir versuchen, unterschiedliche Settings / Möglichkeiten anzubieten. Z.B. für Personengruppen, die aufgrund ihrer Arbeit nur abends beschult werden können, bieten wir eine mehrwöchige Schulung an, jeweils an zwei Abenden in der Woche. Aktuell sehen wir, dass vor allem Frauen den Haushalt managen. Zumeist sind sie noch oder noch nicht berufstätig. Hier haben wir nun erstmals auch einen Vormittagskurs angeboten, da die Kinder in dieser Zeit in der Schule oder im Kindergarten sind. Oftmals ist es so, dass die Sprachkenntnisse noch nicht ausreichen, um an einer Mieterqualifizierung teilzunehmen. Denn der Teilnehmer soll ja später auch ein Gespräch mit einem potentiellen Vermieter führen können oder die Hausordnung lesen und verstehen können.

So schicken wir diese Personen zunächst in einen entsprechenden Deutschkurs, wenn möglich in einen Kurs, der über das BAMF angeboten wird. Hier stehen uns das BFZ Traunstein und die VHS Bad Reichenhall zur Verfügung. Ehrenamtliche ergänzen dann oft durch Zusatz- oder auch Nachhilfeunterricht. Auch das Bildungszentrum der Firma Aicher ist eine wichtige Option. Erst wenn diese sprachlichen Grundlagen erworben wurde, ist es möglich, die Mieterqualifizierung erfolgreich abzuschließen.

Bevor ein Kurs startet, veranstalten wir einen Infoabend, an dem wir auch eine Überprüfung der Deutschkenntnisse vornehmen. Der Kurs selbst dauert dann ca. fünf bis acht Wochen, je nachdem, wie viele Teilnehmer es sind und wie die Häufigkeit der Fragen ist. Am Ende der Schulung erhält nur der sein Zertifikat, der

  • immer und pünktlich an der Schulung teilgenommen hat,
  • die schriftliche Prüfung bestanden hat und
  • eine vollständige Bewerbungsmappe vorlegt.

Wir verschenken das Zertifikat also nicht. Unserer Meinung nach ist es wichtig, eine gute Qualität nach außen zu transportieren, um bei den Vermietern überzeugen zu können.

Die Zertifikate verleihen wir dann in einer kleinen Feierstunde, auch gerne im Beisein der Presse, um möglichst viele Menschen im Landkreis zu informieren.

Wie kamen sie auf die Mieterqualifizierung?

Als Integrationslotsin startete ich Mitte 2017. Genau in dieser Zeit wurden mehr und mehr Migranten als Flüchtlinge anerkannt und suchten entsprechend eine Wohnung.

Ehrenamtliche berichteten mir, dass es schwierig war, für einen Migranten eine Wohnung zu finden. Vermieter hingegen machten dann oft schlechte Erfahrungen, weil ihre Mieter vor allem Regeln wie Mülltrennung, Heizen & Lüften oder auch das Einhalten einer Hausordnung nicht kannten.

In Gesprächen mit Migranten wurde klar, dass ihnen diese Dinge weitgehend unbekannt sind. Sie betonten, nicht in schlechter Absicht zu handeln. Beispielsweise gab es in ihren Heimatländern keine Mülltrennung.

So suchte ich also nach Angeboten, die auf unsere Bedürfnisse passen. Eintägige Seminare lehnte ich ab, ebenso Fortbildungen, die rein auf theoretisches Wissen abzielten.

Wissen manifestiert sich erst, wenn es immer und immer wieder geübt wird. So stieß ich auf das Neusässer Konzept, und in einer ersten Schulung, die ich selbst durchführte, überzeugte ich mich von dem hohen Nutzen. Als weiteres kleines Mittel führte ich dann eine - wir nennen Sie - „Wohlfühlkarte“ ein. Hierbei handelt es sich um eine scheckkartengroße Karte, auf der sich ein Thermometer, sowie ein Meteo-Test befindet. Wenn ich sie in einen Raum lege, kann ich einfach und in kürzester Zeit ablesen, ob es zu warm oder zu kalt ist, zu feucht oder zu trocken. Denn auch das Schimmelproblem, das entsteht, wenn zu wenig gelüftet wird, ist ein Problem, dem wir immer wieder begegnen.

Wie hoch schätzen sie die Bedeutung einer standardisierten Mieterqualifizierung für eine erfolgreiche Wohnungsvermittlung ein? Erhöht sie die Chance auf eine Vermietung?

Hier einen flächendeckenden Standard zu schaffen, erachte ich als sehr wichtig. Ein Zertifikat ist für mich der Nachweis einer bestimmten Qualität, die nachvollziehbar ist und auch vergleichbar, egal ob ich das Zertifikat im Berchtesgadener Land oder irgendwo in Unterfranken erworben habe.

Und nur, wenn ich diese Qualität auch beibehalte, also durchaus streng im Einhalten der Regeln und der Überprüfung des Lernerfolges bin, spricht sich das bei Vermietern rum. Für den Wohnungssuchenden bedeutet es, dass man, egal wo er nach einer Wohnung sucht, das Zertifikat und seine Qualität kennt.

Erinnern Sie sich an den letzten Fall, in dem Sie als Integrationslotsin zu einer erfolgreichen Vermietung verholfen haben?

Da ich mich i.d.R. nicht mit Einzelfällen beschäftige, sehe ich eher anhand meiner Statistiken, die ich führe, welchen Erfolg die Mieterqualifizierung hat. So können wir feststellen, dass aufgrund der erfolgreichen Teilnahme an der Mieterqualifizierung bislang 63 % eine Wohnung gefunden haben, 29 % leider noch suchen und bei 8 % können wir keine Aussage treffen, da sie aus unserem Landkreis weggezogen sind.

I.d.R. dauert es im Anschluss an die Schulung 9 Monate, bis die Absolventen eine Wohnung finden. Besonders schwierig ist es natürlich für kinderreiche Familien, da bei uns einfach nicht sehr viele große Wohnungen auf dem Markt sind.

Was ich natürlich sagen kann, ist, dass es mich immer sehr freut, wenn wieder jemand eine Wohnung gefunden hat und wenn ich sehe, dass es ihm gut geht.

Wie reagiert ihr Umfeld darauf, wenn Sie erzählen, dass Sie als Integrationslotsin arbeiten?

Sehr unterschiedlich. Oft sind die Menschen stark interessiert, aber teilweise auch sehr ablehnend. Beschimpfungen habe ich leider ebenfalls schon erlebt. Wenn mir mein Gesprächspartner die Möglichkeit einräumt, meine Tätigkeiten genauer zu erklären, kann ich sie zumeist sehr positiv von meiner Arbeit überzeugen. 

Gibt es aktuell Bedarf an neuen Mieterqualifizierungen? Wie werden diese in ihrem Landkreis organisiert?

In diesem Jahr haben wir bereits zwei Schulungen durchgeführt. Für Juni hatten wir die nächste Schulung anvisiert, wissen jedoch derzeit aufgrund der Corona Situation nicht, ob wir sie starten können. Wichtig ist vor jeder Schulung, dass wir eine Bedarfsanalyse durchführen. Hier unterstützt uns das Ausländeramt sehr gut. Sie stellen uns die Zahlen derer zur Verfügung, die auszugspflichtig sind, also aus den ihnen bereitgestellten Unterkünften von der Regierung ausziehen müssen.

Aktuell erkennen wir hier, dass der Bedarf auf jeden Fall da ist. Da die Teilnahme jedoch freiwillig ist, nimmt eine große Anzahl Wohnungssuchender leider nicht teil. Oft sind es aber genau diese Personen, die eine Schulung dringend benötigten. Dass der Nutzen der Mieterqualifizierung sehr hoch ist, bestätigen beispielsweise zwei große Vermieter, die sehr gerne an Absolventen dieser Schulung vermieten. 

Haben Sie das Gefühl, dass durch die Mieterqualifizierungsinitiative die Wohnungschancen von Migranten gestiegen sind? Gibt es positive Rückmeldungen von Vermietern?

Auf jeden Fall. Vor allem gelingt es den Migranten selbst und ohne fremde Hilfe, eine Wohnung zu finden. Vor kurzem konnte ich ein Gespräch verfolgen, in dem ein Migrant seinen Kummer preisgab, in der Wohnungssuche nicht erfolgreich zu sein. Sein Gesprächsnachbar erwiderte, dass er „halt endlich eine Mieterqualifizierung besuchen soll“. 

Haben Sie noch Kontakt zu Migranten, die die Schulung besucht haben? Wie ist das Zusammenleben im Nachhinein?

Im Grunde fügen sich die meisten ganz selbstverständlich in die bestehende Hausgemeinschaft ein. Ehrenamtliche berichten, dass der Schriftverkehr meistens noch recht schwierig ist. Hier brauchen sie in der Regel noch eine Weile Unterstützung.

Eine ganz spezielle Herausforderung bringen Personen mit, die einen Mietvertrag ohne die Schulung erhalten haben. Denn hier werden oftmals Ehrenamtliche oder ich von den Vermietern selbst um Hilfe gebeten. 

Das Konzept der Mieterqualifizierung ist ein Konzept, das bundesweit Anwendung findet. Wie hat sich das entwickelt? Womit ist Ihrer Meinung nach, die hohe Nachfrage und Akzeptanz dieser Schulung begründet?

Das ist einfach erklärt. Das Konzept ist vielfach praktisch erprobt und entwickelt sich weiter dadurch, dass die Initiatoren das Feedback der Anwender ernst nehmen und das Konzept entsprechend ändern und erweitern. Hinzu kommt, dass die Qualität überzeugt. Praktisch ist zudem, dass es sehr einfach ist, das Konzept anzuwenden. Alle Schulungsmaterialien stehen mir zur Verfügung.

Für unseren Landkreis ist es mir zudem wichtig, dass ich das Konzept nach unseren Bedürfnissen auch erweitern kann. So bieten wir als Erweiterung aktuell ein Praxismodul „Haushaltsgerätekunde & Brandschutz“ an.

Die Haushaltsgerätekunde unterrichte ich in der Regel selbst, auch um mir einen Überblick über den Kurs zu verschaffen. Den Brandschutz übernimmt meist jemand von der Freiwilligen Feuerwehr. Das hat natürlich den Vorteil, dass auch lokale Akteure mit in die Schulung einbezogen werden.

Wie schätzen Sie die zukünftigen Entwicklungen ein und was würden Sie sich vielleicht wünschen?

Eine Möglichkeit zur Verbesserung der gesamten Situation sehe ich darin, dass bei Bedarf eine Mieterqualifizierung verpflichtend wird. Also ganz ähnlich und entsprechend den Sprachkursen, für die eine Verpflichtung vom Ausländeramt oder Jobcenter ausgesprochen wird.

So hätten Vermieter ein gewisses Maß an Sicherheit, wenn sie sich für einen Mieter entscheiden. Und man würde verhindern, dass Personen abrutschten – das bedeutet konkret, dass die Anzahl der einzelnen Problemstellungen, bei denen Ehrenamtliche oder auch ich derzeit vermitteln müssen, abnähmen. Vor allem um zu verhindern, dass Menschen in der Obdachlosigkeit landen.