Datenallianzen in der Bauwirtschaft
Potenziale durch Integration der Wertschöpfungsketten
BBIV-Präsident Josef Geiger: Digitale Plattformen bieten große Vorteile, …
„Digitalisierung“ heißt heute Arbeiten mit und auf Plattformen, so BBIV-Präsident Dipl.-Ing. Josef Geiger in seiner Einführung zum Thema des Kolloquiums. Das ist der Standard, auch wenn viele Unternehmen und vor allem die Öffentliche Hand noch nicht so weit sind. Das Arbeiten mit Plattformen bringt große Vorteile. Man kann sich die „Tools“, die man braucht, flexibel zubuchen, man ist immer auf dem neuesten Stand. Ebenso sollte auch die „Cybersicherheit“ auf dem höchsten Stand sein. Der größte Vorteil ist, so Geiger, Plattformen sind ideal für die Zusammenarbeit innerhalb der Wertschöpfungskette Bau. Die von der „Realität“ geforderte flexible Projekt- und Baustellen-Organisation kann virtuell auf Plattformen perfekt abgebildet werden.
.., aber damit sind weitere Akteure mit im Spiel
Allerdings, wie immer im Leben, gibt es keine Vorteile ohne Nachteile. Wer auf Plattformen arbeitet, macht sich transparent: Der Plattformbetreiber kann zwar vermutlich nicht die Daten einsehen. Juristisch offen ist aber, wem die Daten eigentlich gehören. Derzeit ist das zumindest unklar: Einige Juristen vertreten nämlich die Meinung, es gibt kein Eigentum an Daten. Auf jeden Fall aber sind einem Plattformbetreiber die Metadaten zugänglich. Daraus kann man vieles erkennen und dann ausnutzen.
Die große Gefahr ist nämlich, so Geiger, dass sich mit den Plattformbetreibern ein weiterer Akteur im Bau-Geschäftsmodell breitmacht. Mit dem Wissen aus den Metadaten kann sich daraus eine starke Marktstellung am Baumarkt ergeben. Ein ganz großes Problem ist die Marktmacht der Plattformen. Es gibt nämlich nur sehr wenige Plattform-Anbieter. Plattformen werden einerseits als Marktplätze fungieren, andererseits werden sie selbst aus Rohdaten höherwertige Datenprodukte „destillieren“ und sich damit selbst mit Algorithmen aktiv an der Projektabwicklung beteiligen.
Daher sind Branchenstandards erforderlich
So kann es jedenfalls nicht weitergehen, die Bauindustrie ist deshalb aktuell sehr aktiv. In allen Expertenkreisen der Branche arbeiten die besten Köpfe intensiv an der Erarbeitung von Branchenstandards sowie gemeinsamen Positionierungen. Zuverlässige Regelungsbausteine zum Umgang mit Daten und dem Knowhow der Bauindustrie sind unverzichtbar, so Geiger abschließend.
Prof.-Dr. Ing. Konrad Nübel: Föderierte Datenplattformen sind die Zukunft
Der Mitveranstalter des Kolloquiums, Prof.-Dr. Ing, Konrad Nübel, stellte Föderierte Datenbanken als besondere Ausprägung Cloud-basierter digitaler Plattformen vor. Föderierte Datenbanken sind dadurch gekennzeichnet, dass ein Föderator dafür sorgt, dass alle Beteiligten auf die benötigten Daten zugreifen können, unabhängig davon, wo und in welchem Format diese gespeichert sind. Die Daten verbleiben an ihren ursprünglichen Speicherorten. Der Hauptvorteil Föderierter Datenbanken ist ihre große Flexibilität. Sie stellen eine offene Struktur dar, die für alle in der Wertschöpfungskette Bau zugänglich ist, sowohl für etablierte Bauunternehmen wie auch für Start-Ups und national sowie international.
Als Beitrag zum G20-Treffen in Rom am 30. und 31. Oktober 2021 lieferte Prof. Dr-Ing. Konrad Nübel zusammen mit Prof. Dr-Ing. Michael Bühler, HTWG Konstanz, und Dr. Thorsten Jelinek, Taihe Institut, die Publikation (Policy Brief) „Infrastructure 4.0: Value Chain Integration through Federated Digital Platforms“. Als Teil der Subgroup Tf7: Infrastructure Investment and Financing fand dieser Beitrag große Aufmerksamkeit.
Dr. Thorsten Jelinek, Hohes Wertschöpfungspotential durch Datenallianzen
Die produktivitätssteigernden Aspekte der Datenallianzen stellte Dr. Thorsten Jelinek vor. Föderierte Datenplattformen sind in der Lage, die gesamte Wertschöpfungskette Bau zu integrieren und so einen gewichtigen Beitrag zu einer Steigerung der Produktivität in der Bauwirtschaft zu leisten, so Dr. Jelinek. Durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz lassen sich noch zusätzliche Mehrwerte aus den Datenbeständen gewinnen. Allerdings befindet sich Deutschland bei Föderierten Datenbanken selbst innerhalb Europas nur im Mittelfeld. Im Weltmaßstab hinkt Deutschland sogar stark hinter den USA und Asien hinterher. Auch von daher kommt der Gaia-X-Initiative eine hohe Bedeutung zu.
Prof. Thomas Bauer: Datenallianzen in der Bauwirtschaft – regulative Eingriffe nötig
Bauen ist bereits heute in hohem Ausmaß „digital“, so Prof. Dr.-Ing. E. h. Thomas Bauer. Moderne Baumaschinen generieren laufend Daten, das Baugeschehen wird permanent digital dokumentiert, standardmäßig werden diese Daten in der Cloud abgelegt. Während aber Unternehmen aus dem Maschinen- oder Fahrzeugbau jederzeit in der Lage wären, ihre Daten in eigenen Strukturen sicher vor fremden Zugriffen zu halten, ist dies in der Bauindustrie grundsätzlich anders. Die hochkomplexen Netzwerke aus Hauptunternehmern, Nachunternehmern, Lieferanten usw. erfordern hier eine neue Funktion: Plattformprovider bzw. Serviceprovider für digitale Plattformen kommen am Bau als zusätzliche Akteure mit dazu. Das Bauunternehmen wird so zu einem Beteiligten an der Plattform-Struktur. Den Vertrag mit dem Service-Provider schließt allerdings nicht das Bauunternehmen ab, sondern normalerweise der Auftraggeber, und zwar lange bevor überhaupt ein Bauunternehmen mit dabei ist. Damit stellt sich das Problem Eigentum an den Daten bzw. Berechtigung zum Zugriff ganz anders dar, so Bauer. Es kommt hinzu, dass digitale Plattformen zu einer Gefahr für das Geschäftsmodell der großen Generalübernehmer und -unternehmen werden können. Denn die Plattformen kombinieren viele und auch sehr viele Teilnehmer, sie übernähmen damit die Koordinationsleistungen, die bisher den Generalübernehmer auszeichneten. Zudem könnten die Plattformen aus den ihnen zugänglichen Daten neue Geschäftsmodelle kreieren. Beispiele dafür wären: Unterstützung bei der Kalkulation, Beratung bei Leistungsansätzen sowie bei der Bauausführung. Unterstützung der Auftraggeber bei der Bewertung von Angeboten, bei der Beschaffung von Nachunternehmerleistungen sowie Marktanalysen. Im Ergebnis könnten sich neue Marktstrukturen am Bau herausbilden, so Bauer: „Daten sind dafür der Schlüssel.“
Bislang schützt der Gesetzgeber im BGB nur Sachen (§909 BGB) und geistiges Eigentum. Zu letzterem zählen aber die Daten der Bauunternehmen, die deren Erfahrungswerte widerspiegeln und die somit Geschäftsgeheimnisse seien, sehr wahrscheinlich nicht. Daher können Daten am Bau nicht durch organisatorische Vorkehrungen wirksam davor geschützt werden, dass Unberechtigte sie nutzen. Die Daten benötigten deshalb einen anderen Schutz. Denn ohne einen wirksamen Schutz ihrer Daten werden Baufirmen nicht bereit sein, voll am digitalen Netzwerk mitzuwirken. Insbesondere wäre es dann nicht möglich, einen vollständigen Digitalen Zwilling eines Bauwerks zu erstellen. Diesem müsste ein Teil der Daten vorenthalten werden.
Mögliche Lösungsansätze wären, so Bauer: Der Gesetzgeber schützt die Daten der Bauunternehmen derart, dass die Daten im Eigentum des Erzeugers verbleiben. Während der Bauzeit können sie von jedem Beteiligten genutzt werden. In der Nutzungsphase steht dem Eigentümer des Bauwerks ein Nutzungsrecht an den Daten zu.
Die Digitalisierung am Bau ist eine große Chance, so Bauer. „Sie birgt aber auch viele Risiken. Daher sind gute Spielregeln nötig!“
Prof.-Dr-Ing. Gerhard Buziek: Alle profitieren von Datenblattformen
Prof. Dr.-Ing. Gerhard Buziek stellte die Leistungen des Unternehmens ESRI Deutschland vor. ESRI Deutschland ist Teil der ESRI Inc. (Environmental Systems Research Institute), einem amerikanischen Softwarehersteller von Geoinformationssystemen (GIS). Um die Corona-Fallzahlen zu visualisieren, verwendet das Robert-Koch-Institute eine ESRI-Software, die auf die Geodatenbank des Unternehmens zugreift. In zwei Tagen war es möglich, diese Anfang 2020 daraufhin umzuprogrammieren. In Deutschland werden die ESRI-Geodaten auch von vielen Berufs und Freiwilligen Feuerwehren verwendet.
Dr.-Ing. Dirk Ebersbach: Neue datengetriebene Geschäftsmodelle in der Bauindustrie?
Nachwuchs für die Bauberufe zu gewinnen wird leichter, wenn der Bau als „smart“ und „digital“ wahrgenommen wird, so Dr.-Ing. Dirk Ebersbach. Wenn Begriffe wie Digitalisierung, Robotics, Künstliche Intelligenz mit der Bauindustrie assoziiert werden, werden die Bauunternehmen für ganz andere Berufsgruppen als Nachwuchskräfte interessant. Schon heute liefert die Kombination aus BIM, Drohnenflügen auf den Baustellen, GIS-Daten, die dann auf einer KI-unterstützten Digitalen Plattform analysiert werden, brauchbare Ergebnisse für den Polier und den Bauleiter: Soll-Ist-Abweichungen könnten so sofort erkannt und auch dokumentiert werden. In der Betreiberphase lassen sich aus diesem Datenpool wertvolle Erkenntnisse ableiten, wie beispielsweise der CO2-Ausstoß reduziert werden könnte.
Wichtig sei, dass verschiedene Systeme an diese Plattformen andocken könnten, mit denen dann der Eigentümer diese analysieren und auswerten kann. Sichergestellt werden musste vor allem, dass keine unbefugten Dritten diese auswerten kann, so Dr. Ebersbach abschließend.