Infrastrukturentwicklung als integriertes Konzept

Infrastrukturentwicklung als integriertes Konzept

Kolloquium 2020 Investor-Hochschule-Bauindustrie

Das 14. Kolloquium der Bayerischen Bauindustrie und des integralen Center Bauen und Immobilien der TUM, Ordinarius Prof. Dr.-Ing. Konrad Nübel, am 11. November 2020 war wiederum ein voller Erfolg

Das traditionelle Kolloquium Investor-Hochschule-Bauindustrie wurde 2020 coronabedingt als Videokonferenz, garniert mit direkten Beteiligungs- und Bewertungsmöglichkeiten via Slido durchgeführt. Das Kolloquium im virtuellen Format am 11. November 2020 war ein voller Erfolg. Davon zeugen nicht nur die pointierten Beiträge der fünf Panelisten, sondern auch die engagierten Diskussionen in den zwei Breakout-Sessions. 

Fünf Panelredner geben Impulse

Als erster der fünf Panelredner stellte Prof. Dr. Konrad Nübel, Ordinarius am Lehrstuhl für Bauprozessmanagement und Immobilienentwicklung an der TUM, die Civil Vision 2030 der Fakultät BauGeoUmwelt der TUM vor. Der Bauingenieur der Zukunft soll, so Prof. Nübel, ein selbstbewusster Löser gesellschaftlicher Probleme sein. Er ist dabei eingebunden in das demokratische System und kann deswegen seinen Lösungsweg nicht selbst bestimmen. Er muss daher dazu fähig sein, für seine Lösung um Zustimmung zu werben und sie auch zu finden. Diese Lösungen bestehen aber nicht aus singulären Objekten, sondern es sind systemische Lösungen für gesellschaftliche Probleme durch Ingenieure. Lösungen im demokratischen Prozess zu finden und sie durchzusetzen brauche aber Zeit, anders als in China, wo schnell und konsequent gehandelt und gebaut werden kann. Daher muss die Frage gestellt werden, so Nübel: Sind unsere Systeme noch konkurrenzfähig? Insgesamt müsse die Infrastrukturentwicklung als integrierter Wertschöpfungsprozeß begriffen werden und als wichtige gesellschaftliche Aufgabe.

Dr. Volker Kefer, Präsident des Vereine Deutscher Ingenieure-VDI, wies auf die großen Herausforderungen für Ingenieure durch die Megatrends Energiewende, Mobilitätswende und Künstliche Intelligenz sowie die hohe Veränderungsgeschwindigkeit hin. Um die Zukunft erfolgreich meistern zu können müssen seiner Ansicht nach unbedingt die Verfahren beschleunigt werden. Bei Großprojekten dauere die Realisierung in Deutschland 30 bis 40 Jahre. Die Bauphase sei zwar meist kurz, aber der Diskussionsteil sehr lange. Bevor mit dem Planen begonnen werden kann, sei schon fast die Hälfte der Gesamtzeit verstrichen. Als zweite Herausforderung nannte er die Verminderung des CO2-Ausstoßes. Hier müsse es radikale Lösungen geben. Wichtig dabei sei es, die CO2-Erzeugung über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerkes zu betrachten, angefangen von den Baumaterialien über die gesamte Betriebsphase einschließlich des eventuellen Rückbaus. Um für alle diese komplexen Herausforderungen Lösungen anbieten zu können, müsse der Ingenieur der Zukunft über Führungsfähigkeiten verfügen, gesellschaftlich engagiert sein und vor allem in hohem Ausmaß kommunizieren können.

Als dritter Panelist wies Prof. Dr.-Ing. Michael Bühler, HTWG Konstanz, auf das große Potenzial hin, das die Bauwirtschaft zur CO2-Vermeidung beitragen kann. Der Transportsektor und der Bau verursachten zusammen 60 % des CO2-Ausstoßes. Noch gebe es am Bau keine konsequente Kreislaufwirtschaft, die entsprechende EU-Vorgabe sei noch nicht praktisch umgesetzt. Darin wie die Infrastruktur mit den Elementen umgehen, stecke ein großes Potenzial in Richtung Nachhaltigkeit. Eine nachhaltige Infrastruktur müsse den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen ermöglichen, zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum beizutragen sowie den adaptiven Umgang mit der Klimaveränderung befördern. 

Die Infrastruktur müsse sich laufend fortentwickeln, so Prof. Dr.-Ing. E.h. Thomas Bauer, Präsident des europäischen Bauverbands FIEC. Ein Leben auf heutigem Niveau sei mit der Infrastruktur von vor dreißig Jahren nicht möglich. Insbesondere müsse die Infrastruktur auch permanent „gepflegt“ werden. Es gäbe da aber ein Wahrnehmungsproblem. Da sich die Infrastruktur, wenn nichts unternommen wird, nur allmählich verschlechtere, dringe dieser Substanzverlust nicht in das allgemeine Bewusstsein. Die Bedeutung einer leistungsfähigen Infrastruktur für ein hochmodernes Industrieland sei aber sehr groß. Eine arbeitsteilige Wirtschaft baut auf einer gut funktionierenden Verkehrsinfrastruktur auf. Nur so kämen Economies of Scale in bedeutendem Umfang zustande. Im Privatleben ermögliche die Verkehrsinfrastruktur Bewegung und Mobilität. Eine ausreichend dimensionierte Infrastruktur leistet auch einen erheblichen ökologischen Beitrag, denn, so Bauer: Jeder Stau ist unökologisch. Sich ändernde und völlig neue Bedürfnisse sorgen dafür, dass immer neuer Baubedarf entsteht. Beispiele seien, den Verkehr in der Großstadt zu trennen, neue Wege für Fahrräder und den ÖPNV zu bauen, Bauen im Untergrund, eine andere Infrastruktur für Elektroautos sowie der Ausbau der Datennetze. Die Infrastruktur herzustellen und zu bauen, habe eine breite Wirkung: Der Multiplikator dieser Ausgaben liege zwischen 2 und 3. Notwendig sei ein neues Denken in der Bevölkerung, ein neues Bewusstsein für diese Aufgabe. Das zu erreichen sei eine große Kommunikationsaufgabe, dazu müssten auch die Ingenieure beitragen.

Junge Leute fasziniere der Bauingenieursberuf deswegen, so Prof. Dr.-Ing. Gerhard Müller, Ordinarius am TUM Lehrstuhl für Baumechanik und Geschäftsführender Vizepräsident der TUM für Studium und Lehre, weil der Ingenieur lerne, ein Problem auf Mathematik und Technik zu reduzieren. Er denke produkt- und produktionsorientiert, aber nicht bedürfnisorientiert. Wenn die Gesellschaft dann seine Lösung anders, nämlich von ihren Bedürfnissen her beurteilt, könne das durchaus einen Schock auslösen. Gesellschaftliche Diskussionen würden derzeit nicht vornehmlich von den Ingenieuren bestimmt. Dafür müssten die Ingenieure besser ausgebildet werden. Allerdings dürften deswegen nicht die Grundlagen des Ingenieurstudiums vernachlässigt werden. Geschehen könne dies durch interdisziplinäre und populärwissenschaftliche Formate. Neben den Kernfähigkeiten müssten daher auch die Kommunikationsfähigkeiten des Bauingenieurs ausgebildet werden.

Anschließend lebhafte Diskussion in Kleingruppen

Anschließend wurden die Themenkomplexe Hindernisse und Lösungen für ein Integriertes Konzept der Infrastrukturentwicklung in Kleingruppen intensiv diskutiert. 

Problemanalyse

Bei der Analyse waren sich alle recht schnell einig, wo die Probleme liegen: Zu lange Prozesse, manchmal zu wenig Transparenz, oft viel Widerstand gegen die Projekte, eine Seite versteht die die andere nicht: politische Prozesse funktionieren anders als Ingenieurprozesse.

Lösungsvorschläge:

  • Agiler werden: „Agilität“ ist ganz anders als „Flexibilität“
  • Wir müssen schneller reagieren können auf die Anforderungen der Zukunft
  • Das muss sich auch in der Ausbildung wiederfinden
  • Lebenswerte Umwelt gestalten
  • Die lokale Bevölkerung mehr einbinden
  • Partizipativer – nicht Top Down
  • Bauindustrie als essenzieller Teil der Lösungsansätze: Es gibt kein wichtiges gesellschaftliches Thema, das nicht mit Bauen verbunden ist
  • Bauwirtschaft hat Anteil an CO2-Entstehung, aber sie kann einen weit größeren Beitrag zur CO2-Vermeidung bzw. Reduktion leisten
  •  Bauwirtschaft als essenzieller Teil des Lösungsansatzes: Großes Plus, um Talente an den Bau zu binden
  • Bauindustrie ist Löser für die Probleme der Zukunft. Sie ist systemisch wichtig
  • Gegenseitiges Verständnis Politik – Bauindustrie fördern: Schnelle Entscheidungen sind auf der Baustelle möglich - nicht aber in der Politik
  • Bauingenieur braucht Kernkompetenzen und soziale insbes. kommunikative Fähigkeiten: Er muss Projekte der Politik und den Bürgern erklären können
  • Wir brauchen in Deutschland vielleicht auch „Popstars“ wie Elon Musk und eine Fehlerkultur wie in den USA: In den USA kann man scheitern und später trotzdem erfolgreich sein
  • An die Projekte glauben: Nur so hat man die Chance, auch andere davon zu überzeugen
  • Ingenieure müssen im gesellschaftlichen Diskurs wieder vernehmbarer und lauter werden

Zu wünschen ist, dass Ingenieure in Zukunft wieder eine größere Rolle übernehmen: Sie wollen voran, nicht den Status quo erhalten. Sie wollen Probleme lösen, ganz egal, wie groß sie sind.