Präambel

Bauen bedeutet, die Welt und die Umwelt positiv zu verändern. Menschen brauchen Gebäude zum Leben. Sie brauchen Infrastrukturen und Verkehrswege. Dahinter steht eine oftmals bedeutende Ingenieur- und Bauleistung. Sie erst ermöglicht die damit verbundene Problemlösung die Problem-Beseitigung. Bauen geschieht unter schwierigen und fast immer unter einmaligen Umständen: Jedes Bauwerk ist ein Unikat. Ein Solitär. Wird aber das Geld auch mit dem Bauen verdient?

Entgegen der weit verbreiteten Meinung zählen die Renditen am Bau zu den niedrigsten. Der Konstrukteur und der Erbauer, sie schaffen zwar die realen Werte, aber den gerechten Preis dafür erhalten sie nicht.

Dafür gibt es zwei offensichtliche Gründe: es gibt sehr viele Bauunternehmen in Deutschland und der Marktzugang ist sehr einfach. Vor allem aber wirkt ein weniger offensichtlicher, dafür aber sich umso dramatischer auswirkender Grund: Im Wesentlichen ist der Baumarkt ein Dienstleistungsmarkt. Der Bauunternehmer bietet nicht ein Produkt, sondern seine Fähigkeit an, ein bestimmtes Produkt nach den Vorstellungen des Auftraggebers zu erstellen. Die meisten Bauaufträge werden an den vergeben, der den billigsten Preis bietet, im öffentlichen Bau nahezu immer. Oft deckt aber dieser „Billigstpreis“ nicht einmal alle Gemeinkosten, weil sonst keine Chance auf den Auftrag besteht.

So kann es nicht bleiben. Der Baumarkt ist aus dem Gleichgewicht, er ist aus der Balance geraten. Diese muss wiederhergestellt werden. Dazu muss man auf beiden Marktseiten ansetzen.

Zum einen bei der Baunachfrage: Wir haben in Deutschland zu wenig öffentliche Baunachfrage, seit Jahrzehnten. Darunter leidet vor allem das Land.

Verändern muss sich die Kultur der Bau-Auftragsvergabe in Deutschland insgesamt. Wir müssen wegkommen von der „Billigstpreisvergabe“ und hin zur Vergabe an das „wirtschaftlichste“ Angebot, wie es die VOB/A durchaus vorsieht.

An den Produktmärkten gilt normalerweise das Prinzip Ware gegen Geld. Leistung und Gegenleistung sind damit in der Balance. Am Bau dagegen wird vom Bauunternehmer die Vorleistung verlangt: erst das Bauwerk, dann das Geld. Wieso ist das eigentlich so? Wieso nicht umgekehrt? Wieso gilt nicht der Grundsatz: Wer bestellt, muss erst bezahlen! Erst dann wird gebaut.

Offenbar gelingt es also den Bauunternehmen nicht, die für eine ordentliche Rendite ausreichenden Preise zu erzielen. Warum ist das so?

I. Die Leistungen der Bauindustrie und Ihr Marktergebnis

Die Bauindustrie als Problemlöserbranche

Die Bauwirtschaft baut das Fundament der Volkswirtschaft. Bauingenieure, Bauunternehmer und gut ausgebildete Baufachleute haben in Vergangenheit und Gegenwart den Fortschritt gebaut.

Mit wegweisenden Verkehrsinfrastrukturen wurde Bayern erschlossen und an seine Nachbarn angeschlossen.

Das bayerische Schienennetz entstand im Wesentlichen bereits unter König Ludwig I. Ausgerichtet und optimiert für die damaligen Verhältnisse, die damaligen Personen- und Güterströme, war es lange Zeit vorbildlich. Zur Entwicklung Bayerns, dem Zusammenwachsen seiner Städte und der ländlichen Räume hat es einen bedeutenden Beitrag geleistet.

Die mit dem Bau verbundenen Herausforderungen insbesondere Bahnbrücken und Tunnels haben die Bauingenieure bewältigt. Die daraus entstandenen Ingenieurslösungen waren weltweit führend, die deutsche Bauindustrie war schon damals weltweit als der Problemlöser bekannt und anerkannt. Deutsche Bauindustrieunternehmen wie z. B. Holzmann haben weltweit bedeutende Bahnprojekte wie die Bagdad-Bahn gebaut.

Ein modernes Straßennetz entstand in Bayern erst mit dem Bau der Autobahnen nach dem 2. Weltkrieg. So hat die A 92 München-Deggendorf Niederbayern erschlossen und mit der Landeshauptstadt München verbunden. Ebenso haben das für Franken die A 71, die A 73 und die A 93 getan.

Gebäude wie das BMW-Hochhaus, das Hypo-Haus oder die Allianz-Arena prägen Städte. Sie symbolisieren und repräsentieren den Bauherrn. Viele kennen auch noch den Architekten als den Gestalter der Ästhetik, den Gebäude-Künstler. Die dahinterstehende Leistung des Erbauers, des Bauunternehmens, wird aber meist nicht einmal in Verbindung gebracht. Wer kennt schon das für den Bau dieser Gebäude verantwortliche Bauunternehmen oder den Bauingenieur?

  • Allianz Arena
  • Handball Leistungszentrum

Bau-Leistungen stecken ebenso in den unsichtbaren Infrastrukturen wie den Wasserleitungen und Abwasserkanälen. Auch wenn es die Wasserversorgung Münchens aus dem Voralpenland nicht mit der bautechnischen und ästhetischen Genialität der Aquädukte im antiken Rom aufnehmen kann, so sind die dafür gebauten Leitungsstollen doch beeindruckend. Und vor allem wurden sie umweltschonend gebaut.

Anfang der 90er Jahre ließen die Stadtwerke München (SWM) eine über 125 Jahre alte Zuleitung vom Mangfalltal nach München erneuern, eine Investition von rund 180 Mio. Euro. Damit so wenig wie nur möglich in Natur und Landschaft eingegriffen werden musste, wurden die neuen Stollen unterirdisch, in bergmännischer Bauweise vorangetrieben.

Eine gewaltige Tunnelbohrmaschine, der sogen. Maulwurf, wühlte sich mit dem Schneidrad Stück für Stück durch den Untergrund und erzeugte dabei einen Hohlraum von über drei Metern Durchmesser. In diesen zog sie vorgefertigte Stahlbetonringe (Tübbings) ein. Den Materialtransport im Stollen übernahmen spezielle Transportzüge. Im Anschluss verlegten Rohrbauer in die Stahlbetonstollen die Trinkwasserleitungen. Ergebnis: ein nahezu unsichtbares Bauwerk, unsichtbar und damit umweltschonend gebaut.

DIE REALITÄT AM BAU – VERDIENT WIRD MIT DEM PRODUKT BAUWERK

Die wirtschaftliche Realität am Baumarkt spiegelt jedoch die Leistung und die Bedeutung der Bauunternehmen und ihrer Ingenieure beim Erbauen nicht wider. Die Gewinne entstehen hauptsächlich im Umgang mit dem fertigen Bauwerk, im Grundstücks- und Wohnungswesen, und bei der Planung und Gestaltung, bei den Architekten und Ingenieurbüros. Im Vergleich zur Bauindustrie betrug 2011 das Jahresergebnis vor Gewinnsteuern in Prozent des Umsatzes für Kapitalgesellschaften mit mehr als 50 Mio. Euro Umsatz in den Architektur- und Ingenieurbüros mehr als das Doppelte, im Grundstücks- und Wohnungswesen sogar mehr als das Dreifache.

UMSO GRÖSSER DAS BAUUNTERNEHMEN DESTO GERINGER DER GEWINN

Mit zunehmender Umsatzgröße nimmt die Umsatzrendite am Bau ab. Dies ergibt die Statistik des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes. Vergleicht man Bauunternehmen mit einer Bauleistung von mehr als 2,5 Mio. Euro aufwärts, ergibt sich folgendes Resultat:

  • Bauunternehmen mit einer Bauleistung von 2,5 bis 5 Mio. Euro erzielten 2012 eine Umsatzrendite vor Gewinnsteuern von 4,5 %,
  • bei Bauunternehmen mit einer Bauleistung von über 50 Mio. Euro betrug sie dagegen nur 1,3 %.

DOPPELTES INSOLVENZRISIKO AM BAU

Es kommt noch schlimmer. Nicht nur, dass die Renditen am Bau niedrig sind, das Insolvenzrisiko ist – spiegelbildlich – mehr als doppelt so hoch wie im Durchschnitt aller Branchen.

  • Bezogen auf 10.000 Unternehmen wurden 2014 im Durchschnitt aller Branchen 74 Unternehmen insolvent,
  • im Bauhauptgewerbe waren es 156, mehr als das Doppelte!

Bekannte Namen aus der Bauindustrie sind so vom Markt verschwunden. Allen voran die einst große Baufirma Holzmann AG, in Bayern die Walter Bau AG, aber auch viele familiengeführte mittelständische Bauunternehmen sind – meist still und leise – vom Markt verschwunden oder übernommen worden.

Viel Baukapazität, viel Bauwissen und vor allem viele Bauarbeitsplätze sind so verloren gegangen. In Deutschland hat sich – von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt – die Beschäftigung am Bau von 1995 bis 2005 geradezu halbiert.

Gab es 1995 im deutschen Bauhauptgewerbe im Jahresdurchschnitt noch 1,4 Mio. Beschäftigte, so reduzierten sich diese auf 717.000 im Jahr 2005, ein Rückgang von fast 695.000 oder 49,2 %. Umgerechnet auf Jahresraten entspricht dies einem Abbau von 69.500 Beschäftigten pro Jahr – nahezu der gesamte Beschäftigtenstand im deutschen Bergbau (2010: 74.369). Jedes Jahr!

In Bayern war es nur geringfügig besser: Ein Rückgang von rund 228.000 Beschäftigten im Jahr 1995 auf 126.000 im Jahr 2005: fast 102.000 weniger bzw. - 44,7 %.

Von 2005 bis 2014 steigt die Beschäftigung am Bau wieder:

  • In Deutschland um 40.290 auf 757.372, ein Zuwachs von 5,6 %,
  • in Bayern um 14.897 auf 141.005, ein Zuwachs von 11,8 %.

Die Medien vermitteln oft den Eindruck, dass es an der Dummheit der Bauunternehmer selbst läge, dass es ihnen nicht gelinge, bessere Preise am Bau zu erzielen. Das Gemetzel in der Bauwirtschaft, dem in den letzten zwei Jahrzehnten etwa 80 % aller großen Baufirmen wegen Insolvenz zum Opfer fielen, lässt sich in einer Marktwirtschaft aber nicht durch „Dummheit“ erklären. Derartige negative volkswirtschaftliche Wirkungen sind allein Folge falsch angelegter Strukturen in den Handlungsbedingungen einer Marktwirtschaft. Im dienstleistenden Bereich der Bauwirtschaft muss deshalb intensiv daran gearbeitet werden, die Marktstrukturen wieder in Ordnung zu bringen. Es macht volkswirtschaftlich nicht den geringsten Sinn, wenn in einem Wirtschaftszweig statistisch alle 20 Jahre alle Mitspieler durch die Wirkungen des Marktes vernichtet werd

II. DER BAUMARKT – ÜBERWIEGEND EIN DIENSTLEISTUNGSMARKT

1. DIE BAUBRANCHE ALS „BEREITSCHAFTSGEWERBE“

Die Bauwirtschaft agiert als Dienstleister, sie bietet die Bereitschaft an, ein Bauwerk nach den Wünschen des Bauherrn individuell zu erstellen. Anders dagegen die sog. stationäre Industrie, wozu beispielsweise die Automobil-, Unterhaltungselektronik- oder pharmazeutische Industrie zählt: Sie stellt in der Regel Produkte her, denen oft ein langer Entwicklungs- und Herstellungsprozess vorausgeht. Hier entscheidet das Unternehmen im Rahmen seiner Geschäftspolitik von sich aus, beispielsweise ein neues Fahrzeugmodell oder einen neuen Flachbildschirm auf den Markt zu bringen. Die Unternehmen haben hier die Möglichkeit, ihr Produkt nach einem vorher selbst bestimmten Entwicklungs- und Produktionskonzept herzustellen. Anhand von Prototypen können frühzeitig Fehler erkannt und abgestellt werden. Auf den Markt kommt am Ende ein in langer Tüftlerarbeit entwickeltes Endprodukt.

Anders die Bauwirtschaft. Unternehmen der Baubranche haben nicht die Möglichkeit, ein Produktionsprogramm nach eigenem Entschluss aufzustellen. Entwicklungsarbeit über Jahre und Prototypdenken sind hier nicht möglich. Art und Umfang der zu erbringenden Bauleistungen sind allein vom Entschluss des Auftraggebers, ein bestimmtes Bauvorhaben zu vergeben und von dessen Vorgaben, wie das Bauvorhaben aussehen und erstellt werden soll, abhängig. Bauunternehmen sind damit fast ausschließlich auf Ausschreibungen der Bauherrenseite angewiesen. Unabhängig von der Erfolgsquote bei solchen Ausschreibungen muss das Unternehmen permanent Personal und Maschinenpark bereithalten – unabhängig davon, ob diese nun für eine konkrete Bauprojektabwicklung benötigt werden. Vor diesem Hintergrund ist die Baubranche ein klassisches Bereitschaftsgewerbe.

2. DIE BAUBRANCHE ALS „BRANCHE DER WANDERNDEN FABRIKEN“

In der Baubranche hat man es mit ständig wechselnden, immer neu zu errichtenden, nur vorübergehenden – nämlich nur für die Dauer eines Bauvorhabens bestehenden – Betriebsstätten zu tun. Für jeden Bauauftrag muss das Bauunternehmen immer wieder eine neue Baustelle einrichten. Hierbei muss es sich stets auf ständig verändernde Verhältnisse und besondere Rahmenbedingungen für jedes einzelne Bauvorhaben einstellen. Aus diesen Gründen wird die Bauwirtschaft gerne als „Branche der wandernden Fabriken“ bezeichnet. Bei der stationären Industrie liegen dagegen in der Regel ortsfeste Betriebsstätten vor, in denen die Produktion unter stets gleichen Bedingungen stattfindet.

3. UNIKATHERSTELLUNG

Bei der Erbringung von Bauleistungen handelt es sich um eine extreme Einzelproduktion genau nach den Vorgaben der Leistungsbeschreibung des Bauherrn. Esgibt kaum zwei Bauvorhaben, die völlig gleichartig erstellt worden sind. Selbstwenn fertige Bauwerke noch in sich gleich wären, liegen bei der Durchführungdes Bauvorhabens fast immer unterschiedliche Bedingungen vor, unter denen das Bauwerk zu errichten ist. Beispielhaft seien hier nur Probleme des Baugrunds, wie etwa verschiedene Bodenschichten oder unterschiedliche Grundwasserspiegel genannt. Selbst wenn hier noch ähnliche Baustellenverhältnisse vorherrschen würden, sorgen auf jeden Fall die bei jedem Bauvorhaben andersartigen Witterungsverhältnisse für zum Teil gravierende unterschiedliche Rahmenbedingungen (z.B. unerwartet lange Frostperioden, längere Schlechtwetterphasen oder gar katastrophenähnliche Wetterlagen wie Stürme oder Hochwasser).

4. ZWANG ZUM ANSCHLUSSAUFTRAG

Im Konkurrenzkampf um Aufträge sind die einzelnen Bauunternehmen zwar in unterschiedlichen Ausgangslagen. Es gibt aber fast immer mindestens ein Bauunternehmen, das dringend einen Anschlussauftrag braucht – mit negativen Folgen für den Baupreis. Wer genug Aufträge hat, um seine Mitarbeiter und Kapazitäten zu beschäftigen, kann bei der Kalkulation des Angebots seine Kosten genau abwägen und dann dem Bauherrn seinen Preis nennen. In einer Zwangslage ist dagegen ein Bauunternehmen, das den Auftrag dringend braucht, um bereits in den nächsten Tagen und Wochen Arbeit für seine Mitarbeiter zu haben. Da am Bau nicht auf Lager produziert werden kann, drohen Stillstandskosten. Wer in dieser Situation ist, muss abwägen, ob er nicht einen Preis anbietet, der nicht alle Kosten und Risiken abdeckt. Selbst ein solcher Preis mit programmiertem Verlust ist besser als kein Auftrag, da durch die hohen Kosten des Stillstands ein noch höherer Verlust droht. Das Unternehmen begnügt sich dann wenigstens mit einem mehr oder weniger kleinen Gemeinkostendeckungsbeitrag. Allein entscheidend ist, dass der Betrieb nahtlos weiterläuft – deshalb dieser prekäre Zwang zum Anschlussauftrag.

5. GEHEIMWETTBEWERB

Der Bauherr als Nachfrager ist gegenüber Bauunternehmen als Anbieter stets im Vorteil. Er stellt eine Leistungsbeschreibung auf und organisiert ein Vergabeverfahren, durch das er sich bei den Bauunternehmen die für ihn wichtigen Informationen zu Leistungsangebot und Preis verschafft, während es für die Bauunternehmen keine Möglichkeit zur Beschaffung vergleichbarer Informationen gibt. Sie stehen im kartell- und vergaberechtlich vorgeschriebenen Geheimwettbewerb zueinander. Während der Bauherr durch das Vergabeverfahren über ein breites Informationsspektrum verfügt, kann das Bauunternehmen bei seiner Angebotsbearbeitung die möglichen mit diesem Projekt verbundenen Risiken lediglich schätzen. Zur Lage der anderen Bieter, insbesondere Risikoeinschätzung, Kosten und eventueller Alternativvorschläge, besitzt es keine Informationen. Was in anderen Branchen gang und gäbe ist, der Blick ins Schaufenster oder in Preislisten der Konkurrenten, ist Bauunternehmen wegen des bestehenden Geheimwettbewerbs strikt versagt. Der Bieter ist hier einem „kalkulatorischen Blindflug“ ausgesetzt. Der Auftraggeber kann seine monopolartige Position voll ausnutzen – ohne Angst vor dem Kartellamt haben zu müssen.

6. HOHE KALKULATIONS- UND PRODUKTIONSRISIKEN

Zu den Besonderheiten des Baumarkts zählen die hohen Risiken, mit denen Bauunternehmen bei der Kalkulation und Bauabwicklung konfrontiert sind. Bei der Erstellung von Bauwerken, die jeweils Unikate sind, lassen sich Erforderlichkeit, Umfang und Zeitpunkt des Einsatzes der Produktionsfaktoren weit weniger als in der stationären Industrie voraussehen. Dies macht die Preise schwer kalkulierbar. Produktionsrisiken werden damit zu Kalkulationsrisiken. Die Ursachen der Produktions- und damit Kalkulationsrisiken sind vielfältig, vor allem auch je nach Art des Bauwerks. Während sich für ein Einfamilienhaus oder für den Rohbau eines Verwaltungsgebäudes die Kosten noch relativ gut abschätzen lassen, bestehen im Spezialtiefbau, Brücken- oder Tunnelbau wesentlich höhere Risiken, die stark vom Baugrund abhängen. Durch unterschiedliche Bodenbeschaffenheit oder nicht vorhersehbare Grundwasserverhältnisse kann sich das Bauvorhaben dramatisch verkomplizieren, so dass sich die Herstellungskosten vervielfachen können. Die Ist-Kosten weichen hier häufig massiv von den Kalkulationskosten ab. Fehlende Informationen bei der Angebotsbearbeitung führen immer wieder zu teuren Fehleinschätzungen und zu einem zu niedrigen Angebotspreis, mit dem drohenden Risiken nicht ausreichend Rechnung getragen wird. Damit kann „der Sieg im Geheimwettbewerb zum Fluch“ werden.

7. REGELMÄSSIGE BILLIGSTPREISVERGABE

Fast immer erhält der billigste Bieter den Auftrag, obwohl die VOB/A den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot vorsieht. Nach § 16 Abs. 6 Nr. 3 VOB/A soll der Zuschlag auf das Angebot erteilt werden, das unter Berücksichtigung aller Gesichtspunkte, wie z. B. Qualität, Preis, technischer Wert, Ästhetik, Zweckmäßigkeit, Umwelteigenschaften, Betriebs- und Folgekosten, Rentabilität, Kundendienst und technische Hilfe oder Ausführungsfrist als das wirtschaftlichste erscheint. Der niedrigste Angebotspreis allein ist nicht entscheidend. In der Reihenfolge der aufgelisteten Zuschlagskriterien steht „Qualität“ sogar vor „Preis“! Obwohl die VOB/A also vorgibt, dass der Bieter mit dem insgesamt wirtschaftlichsten Angebot den Auftrag erhalten soll, sieht die Realität komplett anders aus: In der Regel erhält der billigste Bieter den Auftrag. Dies ist wohl die gravierendste Fehlentwicklung, mit der die Baubranche seit Jahrzehnten konfrontiert ist. Man muss also in der Regel der preislich Billigste sein, um den Zuschlag zu bekommen. Bereits der Zwang zum Anschlussauftrag sorgt dafür, dass das Bauunternehmen bereit sein muss, mit einem „Kampfpreis“ in den Wettbewerb zu gehen. Bei der Preisbildung kommt aber noch hinzu, dass das Unternehmen am billigsten ist, das die vorhandenen Risiken unterschätzt und damit von den niedrigsten erwarteten Kosten ausgeht. Aufgrund der Auftragsvergabe an den jeweils billigsten Anbieter tendiert der Zuschlag zu einem Preis, der niedriger ist als jener Preis, der den tatsächlichen Risiken entspricht. Damit wächst mit den Risiken der Bauabwicklung die Tendenz zum unauskömmlichen Preis.

8. DER UNVOLLKOMMENE BAUVERTRAG – SEGEN UND FLUCH ZUGLEICH

Der Bauvertrag ist seiner Natur nach ein „unvollkommener“ Vertrag: er kann nicht alle Eventualitäten der Zukunft regeln. Er soll auch Raum lassen für bessere Lösungen, die sich erst im Bauverlauf ergeben, für Innovationen, von den Bauingenieuren als Unikats-Problemlösung entwickelt, und auch für nachträgliche Änderungen am Bauplan. All das perfekt im Vorhinein zu regeln, wäre sehr aufwendig, in vielen Fällen wegen der vielen Überraschungen, die sich im Bauverlauf ergeben können, auch gar nicht möglich. Allerdings bringt diese Unvollkommenheit des Bauvertrags das Bauunternehmen auch in eine Erpressbarkeit. In diesen Fällen hat es für seine Zusatzleistungen eben keinen vertraglichen Anspruch. Es ist daher gezwungen, das Entgelt für diese Leistungen erst über das Nachtragsverfahren geltend zu machen. Und Nachträge zählen zu den häufigsten Streitursachen.

III. DREI WEGE ZURÜCK ZUR BALANCE AM BAU

Es gibt im Grunde drei sich ergänzende Wege zu einer neuen Balance am Bau. 

  • Gleichmäßige Baunachfrage, um die Situation des dringenden Anschlussauftrags nicht permanent entstehen zu lassen. Eine wenigstens leicht steigende Nachfrage ist für die faire Preisbildung wichtig.
  • Bessere Regeln für Baunachfrager und -anbieter.
  • Bessere Strukturen am Baumarkt.

MEHR UND GLEICHMÄSSIGE BAUNACHFRAGE

In Deutschland fehlt es hauptsächlich an der öffentlichen Baunachfrage. Insbesondere an den Ausgaben für die Verkehrsinfrastruktur. Symptome dafür sind

 

  • der immer schlechter werdende Zustand der Verkehrsinfrastruktur in Deutschland,
  • der unzureichende Ausbau des Straßen- und Schienennetzes für den künftigen Bedarf,
  • die mangelnde Verknüpfung der Verkehrsträger untereinander.

Ein Symptom für die geringe Bedeutung von Investitionen und Bauausgaben in den öffentlichen Haushalten ist die niedrige Investitionsquote im Bundeshaushalt. Seit einem Jahrzehnt ist sie nur noch einstellig, zuletzt lag sie bei 8,1 %.

Eine höhere öffentliche Baunachfrage hätte zusätzlich zu ihren direkten Wirkungen, nämlich bessere Straßen und Schienen sowie öffentliche Gebäude, noch Folgewirkungen:

  • Arbeitsplätze: 1 Mrd. Euro Baunachfrage sichert 25.000 Arbeitsplätze.
  • Multiplikator-Effekt Bau: 10 Mrd. Euro Baunachfrage schafft 25 Mrd. Euro Gesamtnachfrage, weil die entstandenen Einkommen wieder ausgegeben werden.

Eine nachhaltig höhere öffentliche Baunachfrage würde nicht nur dem Land helfen. Sie würde zudem kräftig dazu beitragen, dass sich das derzeitige Ungleichgewicht am Bau entschärft.

„KENNZEICHEN EINES VOLLKOMMENEN MARKTES IST, DASS IM GLEICHGEWICHT KEIN ANBIETER MEHR EINEN GEWINN ERZIELT! EIN L ANGFRISTIGES ÜBERLEBEN UND EINE NACHHALTIGE ENTWICKLUNG EINES UNTERNEHMENS IST IN EINER SOLCHEN MARKTSTRUKTUR NICHT MÖGLICH.“

VERNÜNFTIGE REGELUNGEN AM BAUMARKT

In seiner derzeitigen Struktur kommt der Baumarkt dem theoretischen Konstrukt eines vollkommenen Marktes aus der Volkswirtschaftslehre sehr nahe.

Ein vollkommener Markt, der in der Volkswirtschaftslehre als Ausgangspunkt der Analyse, aber nicht als anzustrebendes Ideal fungiert, ist im Wesentlichen gekennzeichnet durch:

Ein homogenes Produkt: Am Baumarkt bestimmt der Nachfrager das Produkt. Alle Bauunternehmen bieten das gleiche an, nämlich dieses als Dienstleistung nach den Vorgaben des Bauherrn zu erstellen.

Vollkommene Information: Jeder Bauleistungs-Anbieter hat die gleiche Information. Der Informationsfluss wird vom Baunachfrager definiert.

Markt als Punkt – keine räumliche Differenz: Unbegrenzte Mobilität der Produktionsfaktoren. Arbeit, Kapital und Wissen sind andernorts leicht einsetzbar.

Vorherrschen des Wirtschaftlichkeitsprinzips: Bei großen Auftragsvolumen automatisch gegeben.

Reale Märkte sind daher dadurch gekennzeichnet, dass gewisse sinnvolle Marktzugangs- Beschränkungen existieren. Das gilt vor allem, wenn wichtige Aspekte wie Sicherheit oder Gesundheit betroffen sind.

Der deutsche Baumarkt ist frei zugänglich. Die geringen Markteintrittsbarrieren sowohl aus dem Ausland als auch durch Neugründungen von Bauunternehmen sorgen weiterhin für Überkapazitäten. Der Kapitalbedarf für die Gründung eines Bauunternehmens ist relativ niedrig, die Technologie ist meistens branchenweiter Standard. Skalen- und Verbundeffekte spielen in der Bauwirtschaft kaum eine Rolle. Der Markteintritt neuer Wettbewerber am Baumarkt ist daher sehr hoch. Viele Unternehmen konkurrieren daher um die wenigen Aufträge. Die Folge: ein stetiger Preisverfall.

Deutschland hat seit 2005 am Bau ein Präqualifikationsverfahren. Dieses soll grundsätzlich die Spreu vom Weizen trennen. Für technisch qualifizierte und fähige Unternehmen ergibt sich so die Chance, an einem gerechten und ihren Kenntnissen entsprechenden Wettbewerb teilzunehmen. Die Marktchancen fürdie Unternehmen der deutschen Bauwirtschaft wurden so zumindest verbessert. Allerdings ist das deutsche Präqualifikationsverfahren deutlich weniger streng als das anderer Länder mit der Folge, dass der Druck der Konkurrenz auf den deutschen Baumarkt weiterhin sehr hoch geblieben ist. Vor allem ist es nicht gelungen, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Unternehmens als Qualifikationskriterium mit aufzunehmen.

VORFINANZIERUNGSANSPRUCH STATT VORLEISTUNGSPFLICHT

Bauleistungen werden rechtlich auf der Grundlage des Werkvertragsrechts des BGB erbracht, sehr häufig wird als zusätzliche Vertragsgrundlage die VOB/B vereinbart. Die Bauabwicklung erfolgt vertragsrechtlich jedoch unter Rahmenbedingungen, wie diese in ihrer Gesamtheit nur Bauunternehmen treffen. Man kommt sogar zu dem Befund, dass die wirtschaftliche Position gegenüber dem Bauherrn bereits durch gesetzliche Vorgaben geschwächt wird – es somit von vornherein an der notwendigen Balance zwischen den Bauvertragsparteien fehlt.

Gegenüber dem Bauherrn ist der Bauunternehmer massiv benachteiligt – aus drei Gründen: 

  • Vorleistungspflicht des Unternehmers im Werkvertrag
    Nach der Konzeption des gesetzlichen Werkvertragsrechts ist der Unternehmer vorleistungspflichtig. Er muss seine Leistung vorfinanzieren und trägt zudem das Vorleistungsrisiko, d. h. das Risiko, mit seiner Werklohnforderung auszufallen, wenn der Besteller während oder nach der Vollendung des Bauvorhabens zahlungsunfähig wird.
  • Sofortiger Eigentumsverlust bei Erbringung von Bauleistungen auf Bestellergrundstück
    Erbringt der Unternehmer Bauleistungen, führt die Vorleistungspflicht zu einer weiteren rechtlichen Besonderheit: Steht das Baugrundstück im Eigentum des Bestellers, so geht nach § 946 BGB das Eigentum an den verwendeten Baumaterialien sowie der Wert aller geleisteten Arbeiten und Aufwands unmittelbar auf den Besteller über. Dieser unmittelbare eigentumsrechtliche Leistungstransfer während des Bauens hat zur Folge, dass der Unternehmer erhebliche Investitionskosten tätigt, er aber hinsichtlich der geleisteten Sach-, Dienstleistungs- und gegebenenfalls Planungsleistungen sämtliche Rechte verliert. Schon während der Erbringung der Bauleistungen gibt der Unternehmer sein Werk automatisch aus der Hand. Da sich der Rechtserwerb des Bestellers (Grundstückseigentümers) nach dem BGB automatisch vollzieht, scheidet der Eigentumsvorbehalt als Sicherungsmittel zugunsten des Bauunternehmens aus. Soweit wegen dieses gesetzlich angeordneten Eigentumsverlusts ein Bereicherungsausgleich in Betracht kommt, gibt dieser dem Unternehmer nur eine einfache Insolvenzforderung, die bei einer Insolvenz des Bestellers kaum werthaltig ist.
  • Abnahme als Fälligkeitsvoraussetzung für den Werklohn
    Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat bei der Auslegung des § 641 BGB die dortige Formulierung „bei der Abnahme“ verschärft in ein „nach der Abnahme“. Dabei ist die Formulierung des Gesetzes wohl überlegt. Der historische Gesetzgeber hatte in einer Entwurfsfassung noch formuliert, die Gegenleistung des Bestellers sei nach der Herstellung des Werks bei der Abnahme desselben zu bewirken, also offenkundig einen Leistungsaustausch Zug um Zug (Werk gegen Werklohn) beabsichtigt. Nach den historischen Motiven zum BGB sei der Unternehmer zur Ausfolgung des Werks nur Zug um Zug gegen Entrichtung der Gegenleistung verpflichtet. Das Gegenteil würde ihn „in eine schlimme Lage bringen“ und sein Zurückbehaltungsrecht verkümmern lassen. Ohne Zahlung des Werklohns sollte der Besteller also auch das Werk nicht erhalten. Und was gilt hiervon in der heutigen Baupraxis?

Beim VOB-Bauvertrag kommt noch das bestehende einseitige Leistungsänderungsrecht des Auftraggebers hinzu. Die für solche angeordnete Leistungsänderungen bzw. zusätzlich geforderte Leistungen vom Auftragnehmer beanspruchte Zusatzvergütung wird von Bauherrnseite oftmals mit fadenscheinigen Argumenten verweigert. Dem Auftragnehmer bleibt dann nichts anderes übrig, als in oft langwierigen Gerichtsverfahren seine Vergütungsansprüche durchzusetzen. In der Praxis bedeutet dies einen zinslosen „Justizkredit für den Bauherrn“. Nicht selten kommt es vor, dass dem Unternehmer ein letztendlich obsiegendes Urteil nichts mehr nützt, wenn er vorher wegen fehlender Liquidität Insolvenz anmelden musste. Hier wird zugelassen, dass „Recht zu Unrecht führt“. Beleg für die Streitanfälligkeit von Bauvorhaben ist die hohe Zahl von Bauprozessen in Deutschland. Ca. 75.000 Verfahren in Bau- und Architektensachen beschäftigen jährlich die Gerichte über alle Instanzen. Die häufigsten Konfliktursachen und Streitgegenstände bei der Abwicklung von Bauprojekten stammen jedoch aus der Sphäre des Bauherrn.

VORLEISTUNGSPFLICHT NICHT MEHR ZEITGEMÄSS

An den Produktmärkten gilt normalerweise das Prinzip Ware gegen Geld. Leistung und Gegenleistung sind damit in der Balance. Am Bau dagegen wird vom Bauunternehmer die Vorleistung verlangt: Erst das Bauwerk, dann das Geld. Wieso ist das eigentlich so? Wieso nicht umgekehrt? Wieso gilt nicht der Grundsatz: Wer bestellt, muss erst bezahlen! Erst dann wird gebaut.

Diese Forderung lässt sich mit überzeugenden Beispielen aus anderen Branchen mit Dienstleistungscharakter (Fertigung erst nach Auftragserhalt) begründen: So ist Vorkasse z. B. im Anlagen- und Schiffsbau bereits bei Vertragsabschluss üblich.

Insbesondere ist eine Vorauszahlungspflicht bei Nachträgen nach der VOB/B dringend erforderlich, um ausreichende Liquidität beim Auftragnehmer sicherzustellen („Justizkredit verhindern“). Beim VOB-Bauvertrag müssen das Anordnungsrecht des Auftraggebers, die Vergütungsfolge und die zeitnahe Durchsetzbarkeit der Vergütung in einem unmittelbaren und zwingenden Zusammenhang stehen („unauflösbare Trias“).

Im Kern geht es um die optimale Risikoverteilung: Wieso soll der Ersteller die mit der Vorleistungspflicht verbundenen Risiken tragen, wenn der ursprüngliche Bauwunsch und vor allem aber Änderungswünsche während der Bauphase vom Bauherrn ausgehen?

RATING – AUCH EIN WEG ZUM BONIT ÄREN BAUMARKT

Ebenfalls eine marktregulierende Funktion leistet das Rating, dem sich ein Unternehmen bei Aufnahme einer Fremdfinanzierung unterziehen muss. So unangenehm es ist und so unvollkommen die Ratingverfahren sind, so leisten sie doch insgesamt einen Beitrag hin zu einem ausbalancierten, bonitären Baumarkt.

„INSBESONDERE FÜR GRÖSSERE BAUVERTRÄGE, DIE IHRER NATUR NACH EIN UNVOLLSTÄNDIGER, KOMPLEXER LANGZEITVERTRAG SIND, MUSS DAS PRINZIP DIE VORFINANZIERUNGSPFLICHT DES BESTELLERS SEIN: WER BESTELLT, DER BEZAHLT ZUERST!“

BESSERE VERGABEVERFAHREN

HIN ZUM ZUSCHLAG AUF DAS INSGESAMT WIRTSCHAFTLICHSTE ANGEBOT

Gerade bei der im Bereich der öffentlichen Bauaufträge vorherrschenden fast regelmäßigen Billigstpreisvergabe handelt es sich um eines der drängendsten Probleme der Baubranche, das endlich angegangen werden muss. Dabei gibt es sogar in den einschlägigen Vergabehandbüchern des Bundes wie auch des Freistaates Bayern Regelungen, die Ansätze aufzeigen, bei der Angebotswertung von der reinen Preisbetrachtung wegzukommen hin zu einer stärkeren Berücksichtigung von qualitativen Zuschlagskriterien. So enthält beispielsweise das Vergabehandbuch Bayern für den Straßenbau ein Formblatt, nach dem neben dem Preis zusätzliche Wertungskriterien wie der „Technische Wert“ und/oder „Gestaltung“ mit einer maximalen Gewichtung von insgesamt 25 % Berücksichtigung finden können. Im Rahmen des Kriteriums „Technischer Wert“ können der Angebotswertung Unterkriterien, wie Bauverfahren, Bauablauf, Qualitätssicherung, Geräteeinsatz, Umwelt und Bauzeit zugrunde gelegt werden, wobei diese Auflistung nicht abschließend ist. Problem hierbei ist, dass diese noch sehr allgemein formulierten zusätzlichen Wertungskriterien erst noch weiter spezifiziert werden müssen, um in konkreten Vergabeverfahren objektiv, transparent und rechtlich nachprüfbar zur Anwendung kommen zu können. Hierzu laufen bereits erste Verbandsinitiativen. Am wichtigsten ist aber, dass den für die Vergabebestelle arbeitenden Personen wieder ein sinnvoller Freiraum für die persönliche Beurteilung gegeben wird. Denen, die handeln, muss wieder mehr Vertrauen geschenkt werden!

Brücke über die IJssel,
Niederlande

Auch bei der Deutschen Bahn AG hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass die bisherige ausschließliche Orientierung am Preis als Wertungskriterium Optimierungsbedarf mit Blick auf die Beauftragung des nachhaltig wirtschaftlichsten Angebots aufgezeigt habe. Deshalb hat die Bahn bereits im November 2011 Qualität als Wertungskriterium bei der Vergabe von Bauleistungen eingeführt mit der Möglichkeit, dieses Wertungskriterium neben dem Preis bis zu 30 % zu berücksichtigen. Im Rahmen einer Wertungsmatrix spaltet die Bahn derzeit das Wertungskriterium Qualität auf in die Teilkriterien Terminplanung sowie Logistik und Baustellenorganisation. Ergänzend kann das Wertungskriterium Umwelt projektspezifisch hinzugefügt werden.

Auf dieser Grundlage hat die Bahn im Zeitraum von Oktober 2012 bis September 2013 deutschlandweit 238 Vergabeverfahren mit qualitativen Wertungskriterien durchgeführt. Die Bauverbände begrüßen grundsätzlich diese Abkehr vom Zuschlag auf den „billigsten Preis“, fordern aber, dass dieses Wertungssystem noch in einigen Punkten zu verbessern ist, insbesondere diskriminierungsfrei und transparent ausgestaltet werden muss. So zeigen Erfahrungsberichte der Bieter, dass

  • eine weitere Präzisierung und Objektivierung der für die Erreichung der einzelnen Punktwerte vorzulegenden Unterlagen erfolgen muss,
  • die Angebotswertung transparenter durchgeführt werden muss.

Insgesamt aber unterstützt die Bauwirtschaft dieses von der Bahn eingeführte stärker qualitätsorientierte Vergabesystem und wirkt bei dessen notwendiger Weiterentwicklung konstruktiv mit.

AUS DEN ERFAHRUNGEN IN ANDEREN LÄNDERN LERNEN

Richtschnur für die weitere Diskussion in Deutschland sollten die diesbezüglich positiven Erfahrungen im Ausland sein – beispielsweise die Bauvergaben zur Errichtung der Olympiabauten London 2012. Alle erforderlichen Bauwerke wurden in der vereinbarten Qualität, vier Monate vor dem Zeitplan und 920 Mio. £ unter Budget (Gesamtkosten 9,3 Mrd. £) fertig gestellt. Das Projekt wies außerdem die niedrigste Unfallquote und beste Krankheitsstatistik aller bisherigen Großprojekte in Großbritannien auf. Lag hier das Billigstpreisprinzip zugrunde? Nein, der reine Angebotspreis hatte nur eine Gewichtung von 55 %; bei der Angebotswertung entfielen damit 45 % auf mehrere zusätzliche Wertungskriterien, wie Mitarbeiterqualifikationen, Qualitätsmanagementsystem, Arbeitssicherheit, Umweltschutzaspekte etc. Selbstverständlich hat es sich bei diesen Olympiabauten um die Vergabe ganz besonderer Bauaufträge gehandelt, doch zeigen die dort gemachten Erfahrungen bei Bauvergabe und Bauabwicklung auf, in welche Richtung auch die entsprechenden Diskussionen in Deutschland gehen müssen.

UMSETZUNG DER NEUEN EU-VERGABERICHTLINIEN MUSS ZU EINEM HÖHEREN STELLENWERT DER BIETEREIGNUNG FÜHREN

Durch die qualitäts-, termin- und kostengerechte Abwicklung ihrer Aufträgezur Zufriedenheit des Bauherrn zeichnen sich gute Bauunternehmen aus. Diese haben ein verständliches Interesse daran, dass die positive Bewertung bisheriger Auftragsabwicklungen in die Angebotswertung bei aktuellen Bauvergabeverfahren einfließt. Das lässt aber bisher die Rechtslage nur sehr eingeschränkt zu.

Die Bewertung der Abwicklung vergangener Bauaufträge zählt zur sogen. Bietereignung. Sie ist bei der nach der VOB/A vorgeschriebenen vierstufigen Angebotswertung strikt von den Zuschlagskriterien zur Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots zu trennen. Nacheinander und strikt getrennt abzuarbeiten sind nämlich die auf der zweiten Stufe angesiedelte Eignungsprüfung der Bieter und danach auf der vierten Stufe die Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots. Unzulässig ist die Vermischung der einzelnen Wertungselemente. Ferner darf sich die Eignungsprüfung nach der BGH-Rechtsprechung bedauerlicherweise auch nur an Mindestkriterien orientieren. Überhaupt keine Rolle mehr spielen darf die Eignung bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots auf der vierten Stufe. Diese Rechtslage verhindert beispielsweise, die Bewertung bisheriger Auftragsabwicklungen bei der abschließenden Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots nach der Anlage 7 zu berücksichtigen, die in den von der BayerischenStaatsbauverwaltung, den Bayerischen Baugewerbeverbänden und dem Bayerischen Bauindustrieverband herausgegebenen „Empfehlungen zur partnerschaftlichen Bauabwicklung“ enthalten ist.

Eine Verbesserung dieser unbefriedigenden Vergaberechtssituation lassen die neuen EU-Vergaberichtlinien erwarten, die bis April 2016 in deutsches Recht umzusetzen sind. So sind nach Art. 67 (Zuschlagskriterien) der Richtlinie über die öffentliche Auftragsvergabe (Richtlinie 2014/24/EU vom 26. Februar 2014) bei den Zuschlagskriterien erstmals auch Erfahrung und Qualifikation des Bieters berücksichtigungsfähig. Danach kann zukünftig die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des Personals als Zuschlagskriterium bewertet werden, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Bauausführung hat.

Bei der anstehenden Umsetzung des EU-Vergaberechts wird die Bayerische Bauindustrie deshalb darauf drängen, dass dem Auftraggeber zur Berücksichtigung der Bietereignung bei der abschließenden Zuschlagserteilung ein möglichst weiter Auslegungsspielraum eingeräumt wird.

IV. MEHR BAU-WERTSCHÄTZUNG

Der Gewinn ist ein selbstverständlicher Bestandteil einer sozialen Marktwirtschaft. Er ist Lohn und Wertschätzung des Unternehmers für seine Leistung. Er entlohnt ihn für die eingegangenen Risiken, für den Einsatz des eigenen Vermögens. Er gibt dem Unternehmen die Mittel für die Fortentwicklung, für den Erhalt und den Ausbau seiner Arbeitsplätze. Der Gewinn drückt aber auch die Wertschätzung der Gesellschaft für eine Leistung aus.

Wenn man sich die geringe Gewinnmarge am Bau vor Augen hält, ebenso die geringe Bedeutung der Bauinvestitionen in den öffentlichen Haushalten, dann muss man feststellen: Es fehlt den Bauherren, der Politik und der Gesellschaft an der Wertschätzung für das Bauen. Es fehlt am Bewusstsein für das Bauen: Man will zwar mobil sein, aber trotzdem keine Straßen oder Schienen. Man will Grünen Strom, aber keine Wind- oder Wasserkraftwerke und vor allem keine Stromleitungen. Dabei vergisst man, dass Fortschritt und Fortentwicklung einer Gesellschaft und eines Landes immer mit Bauen beginnt und auf Bauen aufbaut. Es ist immer ein Um-Bau. Alles andere ist erst Stillstand, dann Rückschritt und letztlich Verfall. Die DDR lässt grüßen! Das Selbstverständnis und das Selbstbewusstsein einer Gesellschaft drücken sich in ihrer Baukultur aus. Eine erfolgreiche, funktionierende Gesellschaft symbolisiert sich in der Ästhetik, dem Design, der Schönheit ihrer Bauwerke. Rationalität und Funktionalität eines Bauwerks sind selbstverständlich, aber sie alleine genügen nicht. Bauqualität in all ihren Facetten kommt dazu. Baukunst eben!

„WER BAUEN WERTSCHÄTZT, WIRD EBEN BELOHNT: MIT SCHÖNEN GEBÄUDEN. MIT FUNKTIONIERENDEN VERKEHRSWEGEN. MIT LEBENSWICHTIGER INFRASTRUKTUR. MIT WOHLSTAND UND WACHSTUM. FÜR DIE BAUUNTERNEHMEN UND DIE BAUBESCHÄFTIGTEN MUSS SICH ABER BAUEN AUCH LOHNEN!““

Derzeit ist der Baumarkt aber so strukturiert, dass die Risiken und Regulierungenzu einseitig zu Lasten der Bauunternehmen geregelt sind. Der Baumarkt ist aus der Balance. Als ersten Schritt zu einer neuen Balance am Bau müssen zumindest die folgenden „Steinchen“ in die andere Waagschale gebracht werden.

FÜNF STEINCHEN IN DIE ANDERE WAAGSCHALE

  1. Weg von der alleinigen Billigstpreisvergabe
    Der wichtigste Punkt! Entgegen der fast überwiegenden Vergabepraxis muss der Zuschlag künftig an das „wirtschaftlichste“ Angebot gehen, wie es die VOB/A bereits heute verlangt.

  2. Höhere Unternehmensqualifikation und bessere Bauqualität als zusätzliche Wertungskriterien
    Die Angebotswertung muss weiter greifen. Sie muss wegkommen von der einseitigen Fixierung auf den Preis. Der Wettbewerb am Baumarkt wird so zu einem Wettbewerb um Bietereignung und Bauqualität erhoben.

  3. Weg von der Vorleistungs- und Vorfinanzierungspflicht des Bauunternehmers
    Prinzip muss sein: Wer bestellt, muss erst bezahlen! Erst dann wird gebaut. Das wäre eine gerechte Risikoverteilung.

  4. Weg von der konfrontativen hin zur partnerschaftlichen Projektabwicklung Partnerschaftsmodelle verwandeln den Wettbewerb um den Bauauftrag vom reinen Preiswettbewerb zum Kompetenzwettbewerb. Partnerschaftsmodelle sind auf die gemeinsame Optimierung des Bauprojekts ausgerichtet. Sie stellen die Kooperation der Vertragspartner in den Vordergrund und setzen auf gemeinsame Projektziele und gegenseitiges Vertrauen. So führen sie zur kostengünstigeren, schnelleren und qualitativ besseren Abwicklung der Bauvorhaben und minimieren die Konfliktpotenziale zwischen den Vertragsparteien.

    Zentrale Elemente der Partnerschaftsmodelle sind die frühzeitige Einbindung der Ausführungskompetenz des Bauunternehmens in die Planungsphase, die gemeinsame Festlegung des Bau-Solls, eine ausgewogene Vertragsgestaltung und Risikotragung, transparente Zusammensetzung der Vergütung („Prinzip der gläsernen Taschen“) sowie die Vereinbarung außergerichtlicher Konfliktlösungsmodelle.

    Es muss aufhören, dass Partnerschaft automatisch mit „Kungelei“, also gesetzwidrigem Handeln gleichgesetzt wird. Wir können nicht die Kultur der Zusammenarbeit andauernd mit Füßen treten, weil es einige schwarze Schafe gibt.

  5. Gesetzlich geregelte Adjudikation
    Die Adjudikation bietet im Interesse des Baufortschritts und des Bauerfolgs eine schnelle außergerichtliche Streitlösungsmöglichkeit. Sie sieht eine rasche, die Bauvertragsparteien vorläufig bindende Entscheidung von Streitigkeiten durch einen neutralen Dritten vor, mit der Möglichkeit einer späteren gerichtlichen Überprüfung. Sie schließt damit nicht aus, die getroffene Entscheidung von einem staatlichen Gericht oder auch Schiedsgericht überprüfen und gegebenenfalls korrigieren zu lassen. Eine schnelle, kompetent getroffene und vorläufig bindende Adjudikationsentscheidung kann damit entscheidend dazu beitragen, bei einer zwischen den Bauvertragsparteien aufgetretenen Meinungsverschiedenheit eine kostenintensive Bauverzögerung oder gar einen Baustopp zu verhindern.

Impressum

Ansprechpartner beim Bayerischen Bauindustrieverband:

Abteilung Recht und Steuern

RA Dr. Detlef Lupp
d.lupp@remove-this.bauindustrie-bayern.de
Telefon +49 89 235003-31

Abteilung Wirtschaftspolitik

Dr. Josef Wallner
J.Wallner@remove-this.bauindustrie-bayern.de
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© BBIV, April 2015